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11. Dezember 2013, 10:11 Uhr, Geschrieben von Miriam Meckel

Empathie – wer mitfühlt gewinnt

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Es ist eine Paradoxie in sich, dass die egoistischste Spielerin aller Zeiten ausgerechnet den Titel „Königin der Herzen“ trägt. Sie spielt Krocket gegen Alice im Wunderland in der gleichnamigen Erzählung, und es gibt keine Regeln außer der, dass die Königin immer gewinnt. In diesem wundersamen Spiel sind die Krocketschläger Flamingos und rollen sich ein, wenn Alice zum gezielten Schlag aussetzen will, um der Königin Konkurrenz zu machen. Igel dienen als Bälle und rollen immer dorthin, wo der königliche Schläger schwingt, und die Tore werden aus Soldaten der majestätischen Garde geformt, natürlich immer da, wo der königliche Ball gerade rollt. Klappt doch einmal etwas nicht, erschallt über dem Spielfeld gerne ein gepflegtes „Kopf ab!“ aus dem Mund der „Königin der Herzen“.

Auch wenn es im Management nicht ganz so martialisch zugeht, so herrscht in manchen Führungsetagen noch immer das Top-Down-Prinzip: Geführt wird von oben nach unten, das gesamte Unternehmen ist auf das Topmanagement ausgerichtet, und jeder Punkt geht auf dessen Konto. Statt einer aus den Stärken des Unternehmens abgeleiteten Strategie beherrschen zum Teil erratische Entscheidungen das operative Geschäft. Eigeninitiative, Gestaltungsfreiheit und kritische Fragen eher unerwünscht. In solch einer Enklave hierarchischer Selbstreferenz entwickeln sich selten gute Beziehungsnetzwerke unter zufriedenen Mitarbeitern und Kunden, und es öffnet sich kaum Raum für Innovationen.

Kein Wunder, dass gerade mit Blick auf die Erneuerungsfähigkeit von Unternehmen und ganzer Wirtschaftszweigen das neue Einfühlungsvermögen die Runde macht: die „Empathy Economy“ ist auf dem Vormarsch, spätestens seit der US-Starautor Jeremy Rifkin 2010 die „empathische Zivilisation“ als Rettungsgasse zu einem globalen Bewusstsein identifiziert hat. Wenn auch manch eine Führungskraft die Idee von „Achtsamkeit“ im Business (wie der Economist formuliert) als übertriebenes Mantra des Miteinanders ablehnen mag: hinter dem Begriff der Empathie steckt mehr als die Idee, dass alle lieb zueinander sind.

Schon Adam Smith hat sich mit der Bedeutung des Mitgefühls auseinander gesetzt und ihm in seinem Werk „Die Theorie der ethischen Gefühle“ (1759) eine zentrale Rolle für das gesellschaftliche Zusammenleben zugewiesen. Soziales Leben in Wirtschaft und Gesellschaft gelingt nur durch das gegenseitige Erspüren und Empfinden von Lust, Leid und Pflichtgefühl. Im Laufe der Wirtschaftsgeschichte hat Adam Smiths Idee vom „Eigennutz“ des Einzelnen, im Zusammenspiel gelenkt durch die „unsichtbare Hand“ des Marktes, die Empathie in den Hintergrund gedrängt. Jetzt drängt sie wieder nach vorne, denn neue Studien in Psychologie und Hirnforschung zeigen: Es gibt sie, die Empathie, das menschliche Vermögen, sich in die Absichten, Ansichten und Wünsche anderer hinein zu fühlen und sie zu verstehen.

Zum ersten Mal hatte ein italienisches Forscherteam um Giacomo Rizzolatti in den neunziger Jahren die sogenannten Spiegelneurone in den Gehirnen von Affen entdeckt. Diese speziellen Nervenzellen scheinen für das tatsächliche Imitieren von Handlungen, z. B. Lachen, oder auch das „Mitfühlen“ von Empfindungen anderer verantwortlich zu sein. Inzwischen lässt sich mit Hilfe bildgebender Verfahren, z.B. der Magnetresonanztomografie, nachweisen, dass Menschen Empfindungen anderer mit- oder nachempfinden können. So werden beispielsweise im Gehirn eines Probanden Teile der „Schmerzmatrix“ aktiviert, wenn einer zweiten, neben ihr sitzenden Person tatsächlich leichte Schmerzen zugefügt werden. Empathie ist keine Einbildung, sie lässt sich nachweisen.

Was aber heißt das für die Unternehmenspraxis? Eine ganze Menge, denn die Fähigkeit zur Empathie macht einen Unterschied für die Führungsfähigkeit von Managerinnen und Managern aus und für die Netzwerke, in denen sie aktiv sein müssen. Daniel Goleman, Erfinder des Begriffs „Emotionale Intelligenz“ hat in einer Studie mit 200 globalen Unternehmen herausgefunden, dass es eben nicht die „harten Kerle“ sind, die beste Manager abgeben. Vielmehr sind Eigenschaften wie Selbsterkenntnis, Selbstregulierung, Motivation und eben Empathie Voraussetzung für Führungserfolg. Nach Goleman sind sie sogar doppelt so wichtig wie der IQ oder technische Fähigkeiten.

Die Begründung liegt auf der Hand: Wer in der Lage ist, seine Mitarbeiter nicht nur auf der Sachebene anzusprechen und zu bewerten, sondern sie in ihren Absichten, Ansichten und Wünschen versteht, hat bessere Chancen, an den richtigen Stellen zu fordern und zu fördern, die richtigen Menschen untereinander mit den richtigen Aufgaben zu verbinden und zu verhindern, dass sich Frust aufstaut und Motivation abnimmt, ohne dass je klar wird, was eigentlich los ist.

Wie eng die gute Führung eines Teams oder Unternehmens mit der Motivation und Leistungsbereitschaft der Belegschaft zusammenhängen, zeigt eine globale DDI-Studie unter 1.300 Befragten zur Führungsfähigkeit ihres Managements aus dem Jahr 2011 – mit desaströsen Ergebnissen: 35 Prozent der Befragten gaben an, ihr Boss höre niemals zu, wenn es um arbeitsbezogene Probleme gehe, 42 Prozent sahen betriebsinterne Konflikte nicht adäquat durch den Chef gelöst, 60 Prozent beklagten, der Chef beschädige ihr Selbstwertgefühl, fast die Hälfte gab an, Probleme würden nicht im Miteinander gelöst, sie könnten keine Ideen einbringen oder bekämen nie Feedback.

Und die Folgen? Eine Belegschaft, in der bis zu 40 Prozent demotivierte Menschen vielleicht nicht ihr Schlechtestes, aber ganz sicher nicht ihr Bestes geben. Empathische Führung kann Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dazu bringen, ihre Produktivität um 20 bis 60 Prozent zu steigern und die Mitarbeiterfluktuation senken. Kostet doch der Wechsel von Mitarbeitern auf der Einstiegsebene 30-50 Prozent eines Jahresgehalts, die sich auf Ebene einer Topfachkraft schnell auf bis zu 400 Prozent belaufen können. Empathie steht also für weit mehr als ‚Ringelpietz mit in die Augen Gucken’. Empathie ist Voraussetzung für Führungserfolg auf der Ebene des Einzelnen und für Unternehmenserfolg auf der Ebene der Organisation.

Das gilt umso mehr, als sich die Strukturen unseres Wirtschaftssystems rasant verändern. In Zeiten von Digitalisierung und Vernetzung werden Hierarchien flacher. Führungskraft legitimieren sich nicht durch ihre Position, sondern über ihre Leistung, die immer neu unter Beweis gestellt werden muss. Mitarbeiter haben mit Hilfe der sozialen Netzwerke ganz andere Möglichkeiten als früher, sich untereinander zu vernetzen und ihre Chefs in den Worten des Soziologen Niklas Luhmann „zu unterwachen“. Sie sind erste Botschafter ihres Unternehmens und reden auch über den Chef – im Guten wie im Schlechten. Wer nicht zuhören will, wird fühlen müssen, und zwar wie die eigene Akzeptanz im Team schwindet, weil womöglich längst öffentlich darüber geredet wird.

Mitarbeiter und Kunden wollen sich engagieren in der Lösung von Problemen, sie wollen teilnehmen und teilhaben am Informations- und Wissensaustausch, sie wollen neue Ideen in kollaborativen Innovationsprozessen mitentwickeln. Sie erwarten nicht unbedingt eine materielle Gegenleistung, ganz sicher aber Beachtung und Wertschätzung. Empathie ist der Schlüssel dazu, etwas Gutes aus diesen Veränderungen zu machen. Sie öffnet die Tür zu den Absichten, Ansichten und Wünschen der anderen. Technologischer Fortschritt, Big Data und Präferenzanalysen auf Ebene individueller Vorlieben helfen dann, diese Erkenntnisse umzusetzen. Sie ersetzen aber nicht den empathischen Zugang.

Wer glaubt, er könne menschliches Mitgefühl und Heuristik durch Daten und Algorithmen ersetzen, der ist dumm oder ein Psychopath. Auch Psychopathen, von denen es in den Führungsetagen der Wirtschaft ja durchaus einige gibt, haben allerdings empathische Fähigkeiten. Sie können ihr Mitgefühl im Gehirn „anschalten“, wenn es situativ notwendig ist, hat der deutsch-französische Hirnforscher Christian Keysers kürzlich herausgefunden.

Der Psychopath hat ein ähnlich instrumentelles Verhältnis zur Empathie wie die „Königin der Herzen“ aus Alices Wunderland zu den Spielregeln – alles, was gut für mich ist, gilt. Das Problem ist nur: irgendwann wird das Spiel für alle durchschaubar und damit so langweilig, dass die anderen Mitspieler, Mitarbeiter und Kunden, sich abwenden. Der ewige Sieger spielt dann nur noch gegen sich selbst auf leerem Feld, im wahren Leben ebenso wie im Wunderland.

siehe auch; Handelsblatt v. 6. Dezember 2013

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