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3. April 2015, 6:31 Uhr, Geschrieben von Miriam Meckel

Hände weg vom Glück

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Nach Ostern startet der Zukunftsdialog „gut leben“: politischer Paternalismus in neuem Gewand.

Seit März wird in Deutschland endlich wirksam regiert. Dafür sorgt eine Arbeitsgruppe gleichen Namens im Kanzleramt, die mit Methoden der Verhaltensökonomie den Bürgerinnen und Bürgern einen Stups in Richtung bessere Lebensführung geben möchte.

Das ist erst einmal eine gute Nachricht, sollte durch wirksames Regieren nun das unwirksame Regieren einer Wir-Kuscheln-alle-in-der-politischen-Mitte-Koalition abgelöst werden. Doch so ist es wohl leider nicht gemeint. Im Gegenteil: wirksames Regieren wird bei uns generalstabsmäßig vorbereitet und umgesetzt, also mit viel Bürokratie, einer ordentlichen Portion heißer Luft und bitte auch ganz groß. Zwei Jahre, von 2011 bis 2013 hat eine Bundestagskommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ daran gearbeitet, Wohlstand endlich zeitgemäß zu definieren. Herausgekommen ist eine Formel, der „Wohlstands- und Fortschritts-Indikator“, die beim ersten Lesen zeigt, wie absurd der Versuch ist, Lebensqualität allumfassend messbar und – schlimmer noch – der politischen Steuerung zugänglich zu machen.

Der Indikator misst und mixt alles: Bruttoinlandsprodukt, Einkommensverteilung, Staatsschulden, Treibhausgase, Stickstoff, Artenvielfalt, Beschäftigung, Bildung, Gesundheit, und – Achtung! – Freiheit. Was auch immer für ein Wert für Wohlstand und Fortschritt aus dieser Formel je errechnet werden mag: mit ihm wird das Leben der Deutschen zu einem einzigen Veggie-Day.

Das kommunitaristische Szenario zum „guten Leben“ will die Bundesregierung nach Ostern – Interaktion muss sein! – in einem „Zukunftsdialog“ voranbringen. Endlich fragt uns mal jemand, was für uns Lebensqualität bedeutet. Bevor die Sprechblasen geplatzt sind, die diesen Ansatz wirksamen Regierens umfangen, konnte einem kurz schwindelig werden.

Für die US-Ökonomin Deidre McCloskey ist all das unwissenschaftlich und gruselig („creepy“): Wenn man die Menschen nach Wohlstand und Lebensglück fragt, erfährt man, wie sie diese Worte benutzen, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Der „Zukunftsdialog“ der Bundesregierung mit uns Bürgerinnen und Bürgern soll aber nicht nur das lockere Gespräch zwischen Regierung und Volk fördern. Er soll Aufschluss geben darüber, wie Politik die Menschen in ihrem Verhalten beeinflussen kann. Im Englischen heißt diese Strategie freundlich und unauffällig sympathisch „nudging“, „Anstupsen“. Jemanden zum richtigen Verhalten anzustupsen und damit zu seinem Glück, kann doch erst einmal nicht falsch sein.

Leben als Veggie-Day

Es ist aber falsch, denn es geht um nichts anderes als um politischen Paternalismus. Auch wenn der nun mit der Adjektivzugabe „sanft“ daher kommt, bleibt er, was der Begriff besagt: eine vormundschaftliche Beziehung zwischen Staat und Bürger, Regierenden und Regierten.

„Nudging“ nennt nur netter, was immer der Wunsch von Politik, Regierung, Staat ist – den Bürger zu beeinflussen, zu steuern, ihn zu seinem Glück zu zwingen. Dafür wirft man ihn nicht mehr in den Kerker, sondern bewirft ihn mit Wattenbäuschchen kommunitaristischen Lebensglücks.

Die Idee, Glück zum Maßstab allen Regierens zu machen, stammt übrigens aus dem Königreich Buthan. 1972 führte der Himalayastaat mit einer Einwohnerzahl kleiner als der Kölns das „Bruttoglücksprodukt“ („Gross National Happiness Product“) als Standardmaß für Wohlstand ein. Die nach Buthan pilgernden Glücksforscher haben in ihrer Begeisterung über den neuen Weg zwischenzeitlich vergessen, dass Buthan von einem autokratischen König regiert wird, also wenig mit einer modernen Demokratie gemein hat und mit ethnischen Säuberungen gegen die nepalesisch sprechende Minderheit vorgegangen ist. Dennoch hat das Bruttoglücksprodukt einen Siegeszug durch die Welt der Wohlstandsmaße angetreten.

Der Staat soll die Bedingungen schaffen, die individuelles Glück möglich machen, so wie die amerikanische Unabhängigkeitserklärung es in der Idee des „Pursuit of Happiness“ zum Ausdruck bringt. Im Glück der Menschen haben Regierungen und Politik nichts verloren. Das ist die erste Erkenntnis, die wirksames Regieren ausmacht.

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