Die EU-Kommission will Wachstum für Europa im digitalen Binnenmarkt. Das nötige Vertrauen zerstört nun der BND-Skandal.
Das wurde auch Zeit. Seit dem 1. Januar 1993 gibt es den Europäischen Binnenmarkt. Etwa zehn Jahre später datieren wir den Beginn der digitalen Revolution. Und wo findet die statt? Auf großen Märkten in den USA, in Asien und in jedem einzelnen der 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union, aber bitte möglichst unabgestimmt. Gemeinsame Strategie, einheitliche Regeln? Fehlanzeige.
Seit Jahren vergeben wir Chancen auf Wachstum und Technologieführerschaft, weil jedes Land vor sich hin wurstelt. Eine aktuelle Studie des Bundesverbands der Deutschen Industrie beziffert die mögliche zusätzliche Bruttowertschöpfung durch Digitalisierung in Europa bis 2025 auf 1,25 Billionen Euro. Das ist ungefähr die Summe, mit der die Europäische Zentralbank nun eineinhalb Jahre zur Stabilisierung der Märkte Staatsanleihen kaufen will. Es lohnt sich also für die Volkswirtschaften Europas, endlich den Schritt zum digitalen Binnenmarkt zu tun, wie die EU-Kommission ihn nun angekündigt hat.
Es lohnt sich auch für die Verbraucher. Nichts ist nerviger, als beim Einkaufen im Internet ständig auf die nationalen Seiten zurückgelenkt zu werden, damit man ja nicht in den Genuss günstigerer Preise für dieselben Produkte auf anderen EU-Märkten kommt. Dieses Geoblocking soll nun ein Ende haben. Wie allerdings die EU-Kommission das zum Beispiel der Deutschen Fußball Liga erklären will, die mit der differenzierten Vermarktung der Übertragungsrechte in einzelnen EU-Staaten sehr gutes Geld verdient, dazu steht nichts in der Strategie.
Es ist höchste Zeit, in Europa alle Kräfte zu bündeln, um den USA und Asien in der digitalen Wirtschaft mehr entgegensetzen zu können. Den Kampf um die Plattformen haben Google und Co. längst gewonnen. Bei der Digitalisierung der Industrie darf nicht das Gleiche passieren. Dazu brauchen wir offene Märkte, einheitliche Standards und sichere Grundlagen für Infrastrukturinvestitionen. Nur eine prosperierende digitale europäische Wirtschaft auf gemeinsamem Kurs hat den Konkurrenten im globalen Wettkampf der Netze und Dienste etwas entgegenzusetzen – ökonomisch und auch politisch.
Den freien Datenfluss will die Kommission 2016 im Rahmen des Digitalpakets möglich machen. In diesen Tagen lernen wir: Den gibt es schon – getrieben durch die Geheimdienste NSA und BND und offenbar ohne politische Kontrolle. Daten- und Wirtschaftsspionage sind ein Killer für digitales Wachstum. Sie zerstören Vertrauen, behindern Innovationen und gefährden die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Es ist nicht nur im deutschen Interesse, dass die Bundesregierung nun sehr zügig aufklärt. Es geht auch um Europa. Ein Bundesnachrichtendienst, der es zulässt oder aktiv hilft, die EU-Kommission auszuspionieren, verrät die Idee eines digitalen europäischen Binnenmarkts, bevor ihre Umsetzung begonnen hat. Das ist nicht mehr Landesverrat, das ist Neulandverrat.
Ich wünsche Ihnen mit der ganzen Redaktion ein schönes Wochenende und viel Freude mit der neuen WirtschaftsWoche. Wir freuen uns über Ihre Reaktionen unter: neu@wiwo.de