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20. Juni 2015, 18:00 Uhr, Geschrieben von Miriam Meckel

Logische Sekunde

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Grexit und Euro-Rettung: Die Zeit der zu allem Entschlossenen läuft ab. Wer Europa retten will, darf nicht alle Regeln brechen.

Es muss einem langsam mulmig werden angesichts all dieser zu allem Entschlossenen. „Ich möchte alles dafür tun, was möglich ist, Griechenland in der Euro-Zone zu halten“, hat Bundeskanzlerin Angela Merkel in dieser Woche gesagt. In der deutschen Politik befand sie sich damit – mit Ausnahme der AfD – bislang in guter Gesellschaft. Doch inzwischen hat sich der Wind gedreht. In wohl keinem Land hat es so lange gedauert wie in Deutschland, aber jetzt ist die Stimmung gekippt. Nach einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov sind 58 Prozent der Deutschen für den Grexit. Fast die Hälfte hält einen Ausstieg Griechenlands aus der Währungsunion inzwischen für wahrscheinlich. Im Mai war das noch die Minderheit mit 39 Prozent.

Ist der Kampf für den Verbleib der Griechen in der Euro-Zone also zwar unbeliebt aber „alternativlos“, wie so manches in der Politik Angela Merkels? Nein, das ist er nicht. Oder vielmehr: Das war er nicht. Es hätte nämlich viele Momente gegeben, in denen die Regierungschefs gemeinsam mit EU-Kommission und IWF die Bremse hätten ziehen müssen.

Das ist aber nicht geschehen. Weil die Rettungskredite an Griechenland natürlich den jeweils eigenen Banken und Finanzinvestoren zugutegekommen sind, die sonst hätten blankziehen müssen. Auch weil Reformforderungen gegenüber Griechenland viel zu spät und zu wenig konsequent eingefordert und durchgesetzt worden sind. 2011 wollte sich Giorgos Papandreou über ein Referendum im eigenen Volk die Legitimation holen, endlich die von der EU aufgegebenen Reformen umzusetzen, und hatte sein eigenes politisches Schicksal an den Ausgang geknüpft. Berlin und Brüssel bekamen angesichts des Referendums kalte Füße. Heute wünschte man sich, die irrlichternde Truppe um Alexis Tsipras und Yanis Varoufakis hätte einen derart lichten Moment.

Nach all den vertanen Chancen ist es nun spät. Vielleicht zu spät für eine echte europäische Lösung. EZB-Präsident Mario Draghi hat das schon im Sommer 2012 verstanden, als er sagte: Um den Euro zu retten, werde die EZB alles tun, koste es, was es wolle – „whatever it takes“. Noch so ein entschlossener Satz. Eine Rettung auf Zeit, die Märkte beruhigten sich einstweilen.

Die EZB darf alles tun, koste es, was es wolle. Das hat ihr der Europäische Gerichtshof soeben bestätigt. Sie darf auch im Rahmen des Notfallprogramms OMT (Outright Monetary Transactions) unbegrenzt Staatsanleihen aufkaufen: keine verbotene unmittelbare Staatsfinanzierung. Geldpolitik also, nicht Wirtschaftspolitik. Der Unterschied zwischen beidem ist auf eine logische Sekunde geschrumpft. Die braucht es, um aus dem Verbotenen (Direktankauf von Staatsanleihen durch die EZB) das Erlaubte zu machen (Kauf der Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt).

Die Währungsunion wird so zum Marktplatz der Sekundenfeilscher und Allesversprecher. Wie sagte IWF-Chefin Christine Lagarde 2010, damals noch französische Finanzministerin: „Wir haben alle Regeln gebrochen, weil wir zusammenhalten und die Euro-Zone retten wollten.“ Ein bedenklicher All-Satz.

Die Zeit der zu allem Entschlossenen läuft ab. Wer Europa retten will, darf nicht alle Regeln brechen. Und wer alle Regeln bricht, ist nicht mehr zu retten. Eigentlich reicht eine logische Sekunde, um das zu verstehen.

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