Behörden kämpfen mit dem Vorwurf des Landesverrats gegen die eigene Machtlosigkeit. Wer kämpft für die offene Gesellschaft?
Es gebe keine konkreten Anhaltspunkte, dass die NASA den deutschen Telefonund Internet-Verkehr systematisch überwache, sagte der inzwischen ehemalige Bundesanwalt Harald Range im Dezember 2013 bei einer Pressekonferenz. Es ging damals natürlich nicht um die amerikanische Weltraumbehörde, sondern um die nationale Sicherheitsbehörde der USA, die NSA. Der Versprecher Ranges war programmatisch.
Nun, nach einer Woche voller Streit um Pressefreiheit und Landesverrat, die mit der Abberufung Ranges durch Bundesjustizminister Heiko Maas endete, wissen wir: Der Versprecher war nicht Ranges größter Lapsus. Man blickt ratlos auf einen Scherbenhaufen. Das misslungene Schauspiel der Schuldverschiebung zwischen Verfassungsschutz, Bundesanwaltschaft, Bundesregierung und Medien wird noch eine Weile anhalten.
Die entscheidende Frage aber betrifft nicht die üblichen Ws: Wer wusste wann was und hat warum nicht oder falsch gehandelt. Die entscheidende Frage ist die nach der offenen Gesellschaft und ihren Feinden in Zeiten digitaler Transparenz.
Es gibt sie nicht mehr, die offene Gesellschaft, weil es sie umfassend gibt. Das klingt paradox und ist es auch. In Zeiten des Internets ist potenziell alles für alle offen, auch die Informationen, die ein Staat gerne für sich behalten möchte. In Zeiten des Internets ist daher jeder potenziell Feind und kann das tun, was Paragraf 94 des Strafgesetzbuchs unter Landesverrat fasst: Staatsgeheimnisse verraten oder öffentlich bekannt machen und dadurch die Gefahr eines Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland in Kauf nehmen.
Wer das bislang nicht verstanden hatte, sollte es spätestens durch den Skandal um die umfassende Überwachung der Daten deutscher Staatsbürger durch die Geheimdienste der USA und Großbritanniens gelernt haben. Überwacht wird alles. Wir wissen das seit gut zwei Jahren. Aufklärung? Bislang Fehlanzeige.
Der Skandal um die im Netz veröffentlichten Dokumente des Verfassungsschutzes ist Symptom verunsicherter Behörden und Politiker, die mit Übersprungshandlungen gegen die totale Transparenz und ihre eigene Machtlosigkeit zu Felde ziehen. Der Präsident des Verfassungsschutzes will per Strafanzeige die Lecks in seiner Behörde stopfen, und der Generalbundesanwalt sekundiert mit Ermittlungen zum Landesverrat. Das erste Mal seit mehr als 50 Jahren.
Der Bundesjustizminister hat bei der Entlassung Ranges gesagt, worum es geht: Das Vertrauen ist nachhaltig gestört. Das gilt nicht nur für sein Verhältnis zu Range. Es gilt für unsere politische Kultur. Das Vertrauen ist gestört, weil in Zeiten der digitalen Überwachung alles potenziell transparent und damit nichts mehr geheim ist. Es ist eine totalitäre Transparenz, die sich internationale Geheimdienste zunutze machen und gegen die kein bundesbehördliches Rechtsmittel greift.
Diese totalitäre Transparenz gefährdet unsere offene Gesellschaft. Sie ist Verrat am notwendigen Vertrauen zwischen Bürgern, Behörden und Regierung. Wir werden nun zusehen, wie sich Behörden und Regierung weiter mit Schuldzuweisungen beharken. Wie aber wehren wir uns gegen den Verrat an der offenen Gesellschaft? Die Antwort darauf steht weiter in den Sternen.
Vielleicht kann also doch die NASA weiterhelfen.